Es gibt Neues in meiner losen Serie zu den weiblichen Survivorn der Gegenwart und Geschichte.
Mit der historischen Eventserie „Charité“ hat das Erste im Frühjahr 2017 einen bombastischen Erfolg eingefahren. Die ersten beiden Folgen wurden von 8,32 Millionen Zuschauern gesehen und erreichten einen Marktanteil von 25,5 Prozent – dies entsprach dem besten Serienstart seit vielen Jahren. Das hat mich angeregt, mal etwas genauer auf dieses sagenumworbene, historische Zentrum der deutschen Medizin zu schauen. Und immer auf der Suche nach echten Survivorn und Survivorinnen bin ich mal wieder fündig geworden. Hier möchte ich euch eine ganz besondere Survivorin vostellen:
Rahel Hirsch
wurde am 15. September 1870 in Frankfurt am Main geboren und starb am 6. Oktober 1953 in London. Sie war eine deutsche Ärztin und die erste Frau, die 1913 in Deutschland (im Königreich Preußen) zur Professorin für Medizin ernannt wurde.
Eine Dozentur oder ein Lehrstuhl blieb ihr jedoch versagt. Diese Behandlung durch die Klinik – auch in finanzieller Hinsicht, denn man zahlte ihr kein Gehalt – war der Grund, 1919 die Charité zu verlassen und sich vollständig auf ihre Praxis zu konzentrieren.
Hirsch wurde geboren als eines von elf Kindern von Mendel Hirsch (1833–1900), dem Direktor der höheren Töchterschule der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Frankfurt am Main. Nach dem Abitur 1885 nahm sie ein Studium der Pädagogik in Wiesbaden auf, das sie 1889 abschloss. Im Anschluss arbeitete sie bis 1898 als Lehrerin. Um dem für sie unbefriedigenden Lehrerberuf zu entkommen, schrieb sie sich, weil das einer Frau in Deutschland nicht möglich war, in Zürich für ein Medizinstudium ein. Kurz darauf wechselte sie nach Leipzig und Straßburg (das von 1871 bis 1918 zum Reichsland Elsaß-Lothringen gehörte), wo sie im Juli 1903 ihr Staatsexamen ablegte und am 13. Juli ihre Approbation erhielt.
Nach ihrer Promotion wurde sie Assistentin von Friedrich Kraus an der Berliner Charité. Sie war damit nach Helenefriederike Stelzner die zweite Ärztin überhaupt in der Geschichte der Klinik. Hirsch widmete sich ausschließlich der Forschung. Mit ihren Befunden und Experimenten zum Darmtrakt wurde sie im November 1907 als erste Frau eingeladen, sie der Konferenz der Gesellschaft der Chefärzte der Charité zu präsentieren. Ihre Kollegen wiesen den von ihr beschriebenen und später belegten Vorgang jedoch als nicht stichhaltig zurück. Gleichwohl blieb ihr medizinischer Ruf ungeschmälert. Unter der Obhut von Kraus übernahm sie 1908 die Leitung der Poliklinik der II. Medizinischen Klinik der Charité und bekam 1913 als erste Medizinerin in Preußen und als Dritte im deutschen Kaiserreich den Professorentitel verliehen.
1928 eröffnet sie am Kurfürstendamm 220 eine internistische Praxis mit Röntgeninstitut.
Die Machtübernahme durch das NS-Regime hatte für die Jüdin Hirsch zur Folge, dass ihr die Kassenzulassung entzogen wurde und sie Nichtjuden nicht mehr behandeln durfte. Im Oktober 1938 gab sie ihre Praxis auf und emigrierte nach London, wo eine ihrer Schwestern lebte. Weil ihre Approbation durch die britischen Behörden nicht anerkannt wurde, arbeitete sie zunächst als Laborassistentin und später als Übersetzerin.Die letzten Lebensjahre verbrachte sie – geplagt von Depressionen, Wahnvorstellungen und Verfolgungsängsten – in einer Nervenheilanstalt am Rande Londons, wo sie am 6. Oktober 1953 im Alter von 83 Jahren verstarb.
Postume Ehrung
Vier Jahre nach ihrem Tod griff Gerhard Volkheimer, Assistent von Hirschs früherem Kollegen Theodor Brugsch an der Charité, in seiner Habilitationsschrift die Befunde von Hirsch wieder auf und bestätigte sie. In Erinnerung an die Entdeckerin benannte er den bewiesenen Vorgang Hirsch-Effekt. Der Staat Israel ehrte Hirsch mit der Aufnahme in die Galerie berühmter jüdischer Wissenschaftler in Jerusalem. Die Charité besann sich erst sehr spät des Wirkens ihrer medizinischen Pionierin. 1995 wurde eine von Susanne Wehland gestaltete Bronzeplastik vor dem alten Hörsaal der Inneren Medizin der Klinik aufgestellt.
Seit 2006 ist eine Straße am Berliner Hauptbahnhof nach ihr benannt.